Ausgeschaut: BBS The Documentary

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Kürzlich überkam mich der Impuls, der 90er-Jahre-Mailbox-Szene nachzuspüren. Ich war erstaunt, wie viele aktive Mailboxen es noch gibt, auch wenn die Einwahl per MODEM oft den Protokollen telnet und neuer ssh gewichen ist oder diese zumindest ergänzt.

Während meiner Recherchen bin ich dann über die Filmreihe BBS The Documentary von Jason Scott aus dem Jahr 2002 gestolpert. Die DVDs sind seit mehreren Jahren ausverkauft, aber jemand war so freundlich, das Werk auf Youtube hochzuladen. Von dort fand es auch schon seinen Weg nach Archive.org.

Ich habe nun mehre Abende in intensiven Erinnerungen an meine eigenen Teenager-Zeit, die durchaus von der Mailbox-Szene (so hiess die BBS-Szene in irgendwie bei uns) geprägt war, geschwelgt und halte meine Gedanken dazu hier fest.

Das fast fünfstündige Werk betrachtet die Bulletin Board System-Szene der zwischen ca. 1980 und 2000 aus verschiedenen Blickpunkten.

  • README: Eine kurze Einführung zu BBSs
  • BAUD: Wie es mit BBS losging
  • SYSOPS AND USERS: Vor allem Interviews mit Sysops (den System Operators) und deren BBS-Users
  • MAKE IT PAY: Kommerzielle BBS, quasi existent ab dem Anfang und daher parallel zu den vorhigen Kapiteln
  • FIDONET: Eine grandiose Übersicht über das Fidonet als quasi das weltweite Nicht-Internet-Netz
  • ARTSZENE: Die ANSI-Kunst-Szene, die es quasi auch immer gab
  • HPAC: Hacking, Phreaking, Anarchy, Cracking
  • NO CARRIER: Das Ende der BBS
  • COMPRESSION: Die ARC-ZIP-Schlacht

Die Protagonisten und BBSs stammen fast ausschließlich aus Nordamerika. Trotzdem kann ich mich mit vielen der geäußerten Gedanken absolut identifizieren.

Ich würde sagen, dass ich einen guten Überblick über die deutsche Mailbox-Szene in den Jahren 1997-1999 habe. Überhaupt war ich geschockt, als ich merkte, dass die vermeintlich endlose Lebensphase nur ca. 2-3 Jahre umfasst hat, geprägt hat sie mich für die nächsten zwanzig. :-)

In dieser Zeit wurde ich vom User in einer Mailbox zu einem User vieler Boxen zu vielen Usern vieler Boxen. Letzteres war nötig, damit ich mehr als die vorgegebene Zeit pro Tag online sein konnte. ;-)

Am Ende meiner “Karriere” durfte ich als CoSysOp der NCC Leuna das Zepter schwingen. Und da fällt mir ein, dass ich sogar mal eine Mailbox-Liste von NCBMail Systemen geführt habe.

Natürlich stelle ich mir die Frage, ob das Konzept BBS in die heute Zeit übertragbar wäre. Ich meine nicht unbedingt MODEMs oder ANSI, wobei das schon seinen Charme hat. Was aber aus meiner Sicht der zentrale Unterschied zum heutigen (mobilen) Internet ist, war die Wertschätzung der Onlinezeit.

Damit meine ich weniger die Telefonkosten, sicher der spürbarste Aspekt dieser Zeit. Aber die Mailboxen hatten in der Regel nur eine sehr begrenze Anzahl von Einwahl-Lines, was sie zu einer begehrten Ressource machten. Daher war es üblich, dass man sich nur eine begrenzte Zeit pro Tag oder Woche in einer Mailbox aufhalten konnte. Diese Zeit konnnte teilweise mit Geld oder einem Stufensystem verlängert werden. Aber die beste Möglichkeit, unbegrenzte Online-Zeit zu bekommen war, sich selbst eine Mailbox zuzulegen. Wenn man dann noch Leute fand (oder Leute die Mailbox), ging der Spaß richtig los.

Ein weiterer wichtiger Punkt war der lokale Bezug. Obwohl man über die (inter)nationalen Nachrichtennetze wie Z-Netz oder FidoNet durchaus internationale Kontakte pflegen konnte, waren die meisten User aus dem direkten regionalen Umfeld, so dass regelmäßige User-Treffen eine wunderbare Möglichkeit waren, Menschen mit einem kompatiblen Mindset zu finden.

Diese beiden Eigenschaften fehlen mir in der heutigen Online-Welt schon etwas, aber vielleicht kann man da was erfinden.

OT: Während ich diesen Post schrieb, lief das hier duch meinen Newsfeed. Es wird.